So dezentrale und unübersichtlich wie die Strukturen des „Newdetroit“ sind auch die Perspektiven auf die Stadt und ihre Entwicklungspotenziale. Hier steht exemplarisch das Silo-denken des 20. Jahrhunderts mit Fordismus und Automobilität gegen das Patchwork der Crowd- und Communityökonomie des 21. Jahrhunderts.
Die Highways, die riesigen und rissigen Straßen, verknüpfen zwar die neuen Orte der Kreativszene, sie vermögen es aber nicht diese wirklich miteinander zu verbinden. Die Distanz bleibt trotz des ähnlichen Grooves der Projekte eines der größten Probleme. Dies ist in der Stadtstruktur begründet, die außer einem stark eingeschränkten Bussystem und dem „Peoplemover“ keinen Nahverkehr kennt. Matthias Heumeier beschreibt diese in seiner Arbeit „Urbane Transformation: Formen der Raumartikulation in Detroit“ als Wirklichkeitsmanipulator Auto:
„Die Stadt ist in einer kognitiven Schleife gefangen, in der sie aus der motorisierten Wahrnehmungseinstellung des Autofahrers zu einem Nicht-Ort (vgl. Augè 1994), einem Ort des Transits und der Durchreise verkommt. Konsummöglichkeiten gibt es häufig nur entlang der Straße, wer sich willkürlich von den Verkehrsachsen entfernt, begibt sich auf unsicheres Terrain. Die Fahrgeschwindigkeit erzeugt eine Art Schutzschild (Feldnotizbuch: 61), Orte an denen die Geschwindigkeit reduziert wird, an denen Pendler ihre Transportkapseln verlassen und einen Fuß in die Stadt setzen (Tankstellen, Ampeln, usw.), werden zu Orten von Skepsis und Angst.
Wer nicht auf der Suche nach etwas Bestimmten ist oder den Kick als Identifikationsangebot benötigt („I’m so bad, I party in Detroit“, vgl. Herron 2004), hat wenig Gründe sich in der Stadt aufzuhalten. Highways, deren Erbauung überdies vibrierende Wohnviertel zum Opfer fielen, steigern diese Eigenschaft, indem sie die Reisezeit weiter verkürzen und die Wahrnehmung von Zeit und Raum verzerren. Sie rücken die Peripherie noch dichter an das Zentrum und sind, obwohl sie die Stadt unmittelbar durchdringen, am wenigsten Teil von ihr. Bei 70 mph schirmen die Fahrzeuge ihre Insassen mit maximaler Isolationskraft von der Außenwelt ab.
Die fehlende Bewegung abseits der Hauptstraßen und Highways degradiert weite Teile der Stadt zu einem Transitraum, aus der Wahrnehmung Detroits aus dem heraus Auto entsteht der Eindruck einer entleerten Stadt.
Das Auto ist in dieser Hinsicht auf doppelte Weise an der Transformation von Stadt beteiligt: Einmal auf der performativen Ebene, insofern als dass es Verkehr und Bewegung auf bestimmte Teile der Stadt konzentriert, andererseits aber auch als Wahrnehmungsmanipulator, dessen Benutzung zu einem kognitiv verzerrten Stadtbild führt.“
Downtown Detroit mit seinen Wolkenkratzern bildet nur ca. 4% der Gesamtfläche der Stadt. Detroit erscheint also als nicht begehbare Stadt. Wer nicht mit dem Auto fahren kann, ist auf das löchrige und immer weiter gekürzte Bussystem angewiesen. Und die Hipster fahren mit dem Rad. Der Peoplemover ist ein schlechter ÖPNV-Witz, denn er fährt zwar, zum einen aber im Kreis und dies nur wenige Meilen und zum anderen, weil er gerade an der einzigen Stelle – in Downtown, an der Laufen und miteinander in Kontakt kommen möglich ist – die Menschen hiervon abhält. Eine wirkliche und nachhaltige Verbesserung der Nahverkehrsstrukturen wird es nur geben, wenn die lange geplanten Straßenbahnlinien endlich gebaut werden und darüber hinaus noch viele Bahnlinien mehr.
Die Probleme werden jedeR DetroitbesucherIn spätestens am Flughafen bewusst. Es gibt keine Zugverbindung zur Innenstadt. Mit dem Bus dauert es mit Umsteigen mehr als 2 Stunden in die Innenstadt (22 Meilen!). So muss man mit dem Taxi oder Shuttle fahren. Günstigste Variante $50,-.
Hintergrund meiner Reise nach Detroit war die Einladung von Dimitri Hegemann an einer Veranstaltung im MOCAD teilzunehmen. Der Hintergrund der Story beginnt mit dieser einfachen Gleichung: Berlin hatte in den Anfang 90iger Jahren viel Kaputtes und Freiraum. Gleiches gilt heute (und schon so lange) für Detroit. In diesen Tagen des ausgehenden 20. Jahrhunderts war es dann eine bestimmte Sorte Musik, die in Berlin für sehr viel Aufmerksamkeit und noch mehr Partyspaß gesorgt hat: Techno. Speziell auch aus Detroit. Heute nun, mehr als 20 Jahre später, hat sich die Kultur- und Kreativwirtschaft in Berlin prächtig entwickelt. Und Detroit? Dort sind die Strukturen für Kreativität zwar besser geworden. Aber irgendwie macht sich bei einem Besuch doch das Gefühl von Stillstand breit, der überwunden werden kann. Hier setzte nun die Delegationsreise an, an der neben mir noch ca. 10 weitere Personen teilgenommen haben. „Detroit-Berlin Connection – Conference for Subcultural Exchange and Urban Development“ war der etwas großspurige Titel für einen halbtägige Veranstaltung mit Kurzpräsentationen und einer sehr spannenden Podiumsdiskussion. Eine gute Zusammenfassung dieser Veranstaltung hat Walter Wasacz, einer unserer Ansprechpartner vor Ort verfasst.
Wir BerlinerInnen waren uns alle einige, dass es eine gefühlte Achse Berlin Detroit gibt, die aus dieser langen musikalischen Verbundenheit herrührt. Das führte zu einigen ergreifenden Momenten bei der Paneldiskussion, in der man diese Verbundenheit fast körperlich spüren konnte. Allen war klar: wir wollen etwas zurückgeben für die tollen Entwicklungsmöglichkeiten, die Berlin durch die Musik aus Detroit bekommen hat. In den nächsten Monaten wollen wir und auch ich daran arbeiten, wie dies funktionieren kann. Ein Interview, das ich der Berliner Zeitung gegeben habe, weist schon in eine Richtung: Darin fordere ich u.a. eine Diskussion über eine Städtepartnerschaft Detroit Berlin.
Wie jede Delegationsreise tauchen auch bei dieser Fragen auf. Einige Fragen sich: „Wer hat das bezahlt?“ (wir selber!) andere: „Was sind die Resultate?“. Letzteres ist schon nicht mehr so eindeutig zu beantworten, denn in nur einer Woche und mit dem eher exklusiven Zugang zu Personen und Orten ist eine objektive Übersicht erst einmal schwierig. Natürlich die Besuche an der Packard Fabrik („Architekt war wiederum Albert Kahn. Dieses Gebäude Nr. 10 gilt als weltweit erste Fabrik in Eisenbeton-Bauweise. Kahn revolutionierte damit die Konstruktion von Fabriken und Produktionsbetrieben.[30]“), die seit den 60er Jahren stillgelegt ist; beim Heidelberg Project oder im hippen neuen Restaurant Craft Work waren beeindruckend. Ob im Tech Shop, im viel zitierten Ponyride, der Detroitrevitalisierungslegende Phil Cooley, beim Movement Festival, bei der Tech Week, der Feier, die ich zu meinem Geburtstag aufgesucht habe, bei der Carl Craig (Carl Craig returns to Motor City Wine for an intimate performance) @Motorcitywine aufgelegt hat oder beim Brunch mit Jeff Mills, Mike Banks und vielen anderen – Eindrücke und spezielle Perspektiven allenthalben. Natürlich umrahmt von der allgegenwärtigen zerstörten Struktur der Stadt, wie man sie aus unzähligen Dokumentationen kennt oder aus dem Jim Jarmusch Film: „Only Lovers Left Alive“.
Was bleibt? Erstmal die große Herzlichkeit, mit der wir aufgenommen worden sind. Das verstörende Gefühl nicht zu wissen wo man anfangen soll die verschiedenen Perspektiven auf diese Stadt aufzuzählen. Der Umfang einer zeitgemäßen Erzählung über das heutige Detroit geht auf jeden Fall weit über die umfangreichen, aber oft oberflächlichen, Betrachtungen in den Medien hinaus. Es schient, als gäbe es dutzende Zugänge zu dieser Stadt. Für einen Einstieg kann man sicher den Artikel von Tina Kaiser nutzen „Nach der Pleite erobern Hipster Detroit für sich“ oder Bilder von Josef Cramer doch bleiben diese an der Oberfläche.
Was fehlt ist die integrierte Story, die positive Erzählung des amerikanischen „Comeback Kid“ Detroit, die im besten Sinne alle Perspektiven beinhaltet. Die allgegenwärtigen Segregation, die mich zu der Vermutung geführt hat, dass die schwarze Bürgerrechtsbewegung der 60er und 70er Jahre an Detroit vorbeigegangen sein muss, die Leere und Größe des Raums und damit alle Mobilitäts- und städtebaulichen Aspekte. Aber auch die Rolle von Staat und Kirche in der Stadt: „28 Jahre Haft für den Ex-Bürgermeister von Detroit“ müssen berücksichtigt werden. Die hohe Kriminalitätsrate, die seit den 60er Jahren einsam die US-Mordrangliste anführt, aber innere Ursachen zu haben scheint in dem fordistischen-amerikanischen Traum. Oder gibt es vielleicht diesen Zusammenhang: Wenn sich alle in ihrem Auto verbarrikadieren, dann sinkt die Hemmschwelle für gewaltsame Reaktion auf Nichtigkeiten rapide?
Die Kultur der Improvisation in der Stadt, der aktuelle Boom der Start-Up-Kultur oder die vielen Grassroot-Projekte, die über die Stadt verteilt sind, prägen weitere Perspektiven. Und natürlich die Musik, ob Jazz, Motown oder Detroit Techno – sie kommen viel zu wenige vor in der Narration Detroit.
Erst wenn die Patches des Flickenteppichs in der Stadt zu einem zusammenhängenden Mosaik werden und mehr Menschen von Außen die Stadt erleben und lieben lernen, können substanzielle Fortschritte erzielt werden. Es ist ein langer Weg auf den wir uns gemacht haben, aber um die Verhältnisse zum Tanzen zu bringen, braucht man einen langen Atem. Happy Locals fallen nicht vom Himmel, aber ein Direktflug von Berlin nach Detroit wäre schon mal ein Anfang: Herr Mehdorn übernehmen sie (sic!).
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